Darf es diesmal etwas Besonderes sein? Der exklusive Setra-Midi verwöhnt seine Fahrgäste fast individuell. Der Fahrer, gut motiviert, ist hier eher Chauffeur. Unterwegs in den Bergen zeigt der kurze Hochdecker seine flinken Talente.
Auch wenn die Zweiachser jetzt länger und schwerer werden dürfen – für den kurzen Setra spielen die neuen Gewichte nur eine periphere Rolle. 19,5 t Gesamtgewicht? Braucht er nicht, in keiner Lebenslage. Und dennoch darf er heute mehr zuladen, sein Hersteller gibt ihm nun 19 t, eine Tonne mehr zulässiges Gesamtgewicht mit auf den Weg. Ob der aktuell kleinste Setra davon profitiert? Es ist ja nur eine Folge der Modularität: Schließlich rollt er als Benjamin der Comfortclass-Familie auf den stämmigen Reisebus-Achsen der großen Kollegen.
Inhaltsverzeichnis
Nicht mehr so exklusiv
Ein wenig Vorfreude darf schon sein, wenn sich ein Setra-Midi im Redaktionsalltag ankündigt. Die Testfahrt, man erinnert sich gern an legendäre Ausfahrten mit dem Vorgängermodell S 411HD, führt auch diesmal über knifflige Sträßchen in den Alpen. Aber zuerst der obligate Rundgang ums Objekt der Begierde: Rein optisch mag der 511er, fast 3,80 m hoch aufragend mit kurzem Radstand und langem Heck, ein wenig gewöhnungsbedürftig sein. Lange Radstände strecken die Omnibus-Proportionen, Midis aus dem Baukasten sehen eben so aus, so kommt der Setra-Midi schon seit jeher daher.
Jetzt gibt sich der S 511 HD nicht mehr so exklusiv wie bisher, der Setra-Midi reiht sich heute in der Comfortclass ein, nicht wie sein elitärer Vorfahr, der noch in der Topclass beheimatet war. Er tickt jetzt normaler, mit mehr Varianten, spielt nicht nur den Part der Großraumlimousine. Er kann aber, wenn man es will. Schließlich verspricht dieses Fahrzeugkonzept mehr Individualität, die Kommunikation kleiner Gruppen. Und den vollen Komfort großer Reisebusse, wenn an der Ausstattung nicht gespart wird. Vor dem Einsteigen und in Erinnerung an die letzte 411er-Tour hatten uns gleich auf einen frisch gebrühten Espresso gefreut. Ein Kaffee aus der großen Filtermaschine, ja den gäbe es – trifft aber weniger unseren Geschmack.
Der hawaiiblaue S 511 HD fährt mit 30 + 2 Fahrgastsitzen auf den Hof, hier sitzen die Fahrgäste mit 5-Sterne-Komfort schon sehr entspannt. Er kann aber auch anders, voll bestuhlt mit den möglichen 43 wäre er fast ein Großer. Im Vergleich zum Vorgänger nahm er in der Länge um 36 cm zu, 23 davon stecken im hinteren Überhang. Denn im Heck muss statt des kurzen V6 jetzt der längere Reihensechszylinder untergebracht werden. Mitsamt einem Achtgang-Getriebe, automatisiert natürlich, der Kunde kann bei der Anschaffung sparen und das günstigere 6-Gang-Handschaltgetriebe wählen.
Vorteil: Mittel- oder Heckeinstieg
Ein Pluspunkt des S 511 HD, den es bei den meisten Wettbewerbern nicht gibt, liegt im optionalen Heckeinstieg. So profitiert der Setra mit einem größeren Kofferraum, mit knapp 8 m3 können in dieser Klasse nicht viele dienen. Gut gelöst ist Anordnung der ebenerdig zugänglichen Hecktoilette, die auch mit ihren Maßen nicht kneift. Gleich daneben ein Küchenblock mit Kühlschrank und Arbeitsfläche, so lässt es sich arbeiten. Selbst die Treppe im Heck bietet nicht Ansatz zu Kritik, etwas schmale, aber ebenmäßige Stufen führen nach oben – links mangelt es an geeigneten Handläufen, rechts ist keiner.
Es sind nur Details, die leicht zu beheben wären – die Kritik muss sich ein Omnibus dieser Preisklasse schon gefallen lassen. Nach der ersten Begehung darf es endlich losgehen: Platz nehmen hinter dem Steuer, die Fahrerkarte gesteckt. Auch Langbeiner kommen gut unter, das Lenkrad geht prima zur Hand. Die hängenden Pedale sind ein Gedicht, auch die Feststellbremse links neben dem Sitz wird intuitiv bedient. Ein wenig Orientierung vor dem Start verlangt das Cockpit. Der Setra hat zahlreiche elektronische Helferlein und viele Tasten, auch im Menü des Bordrechners klicken wir uns durch. Nachdem die wichtigsten Funktionen verstanden sind, noch ein erster Blick in die Spiegel: Einwandfreie Sicht nach beiden Seiten, jetzt aber los.
Technische Daten
Motor
Reihensechszylinder OM 470 LA, stehend im Heck, 2 obenliegende Nockenwellen, 4 Ventile pro Zylinder, Turbolader und Ladeluftkühlung, elektronische Common-Rail-Direkteinspritzung, abgasarm nach Euro 6 mit AGR, SCR-Kat und DPF.
Hubraum 10.700 cm³
Nennleistung290 kW/394 PS bei 1.800/min
Max Drehmoment 1.900 Nm bei 1.100/min
Kraftübertragung
Automatisierte Einscheibentrockenkupplung, automatisiertes 8-Gang-Schaltgetriebe GO 250-8 Powershift, Übersetzungen i = 6,57–0,63, einfach untersetzte Hinterachse, i = 3,583; Tempo 100 bei 1.189/min.
Fahrwerk
Luftfederanlage mit elektronisch geregelter Fahrwerkregulierung durch Wegsensoren; vorne Einzelradaufhängung ZF RL 75 E mit Doppelquerlenkern und zwei Luftbälgen, zwei Stoßdämpfer und Stabilisator, max. Achslast 7,5 t; hinten starre Antriebsachse RO 440, vier Luftbälge, vier wegabhängige Stoßdämpfer, Stabilisator, max. Achslast 11,5 t; Reifen 295/80 R 22,5.
Lenkung
ZF-Kugelmutterlenkung Typ Servocom 8098, Übersetzung variabel 17,0–21,0:1.
Maße und Gewichte
Länge/Breite/Höhe 10.465/2.550/3.770 mm
Radstand 5.005 mm
Überhang vorn 2.265 mm
Überhang hinten 3.195 mm
Wendekreis 17.468 mm
Kofferraumvolumen max. 8 m³ (Heckeinstieg mit Toilette)
Leergewicht lt. Hersteller 12.325 kg
Zul. Gesamtgewicht 19.000 kg
Nettopreis
Testfahrzeug: 307.000,00 Euro
Messwerte
Testbedingungen: 0,5 bis 10°C, nasse Straßen, Wind
Gefahrene Kilometer: 66,8 km
Durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch
20,43 l/100 km
Kraftstoffverbrauch der einzelnen Etappen
Konstantverbrauch bei
100 km/h 18,52 l/100 km
Autobahn mittelschwer 18,53 l/100 km Durchschnittsgeschwindigkeit bei 97,44 km/h
Landstraße 19,38 l/100 km Durchschnittsgeschwindigkeit bei 63,09 km/h
Bergwertung (durchschn. 10 % Steigung)
108,11 l/100 km Durchschnittsgeschwindigkeit bei 55,72 km/h
Fahrdynamik
Beschleunigung 0–50/60/80/100 km/h 14,8/17,7/27,1/38,5 s
Elastizität 80–100 km/h, 12. Gang 12,0 s
Innengeräusche in dB(A) 80 km/h Front/Mitte/Heck 61,1/59,8/58,7
100 km/h in dB(A) 68,3/66,1/67,4
Perfektes Handling
Schon auf den ersten Metern lässt sich der 511er fast spielend dirigieren. Man wähnt sich fast auf Sprinter-Niveau, und das wäre ja keine schlechte Referenz. Auf den engen Straßen, dann auf kurvigen Landstraßen ist der kurze Setra in seinem Element. Er dreht fast auf der Stelle und zirkelt haargenau um jede knifflige Kehre. Er hat aber auch den nötigen Dampf, um nach einer Bremsung sofort wieder in Schwung zu kommen – nichts stockt, nichts hemmt, beinahe fließend bewegt sich der kurze Setra im hektischen Verkehr.
Hat er jetzt mehr Leistung? Nein, es bleibt bei fast 400 PS und 1.900 Nm, es gibt nur diese Leistung. Aber statt des domestizierten V6-Diesel sitzt jetzt ein kräftiger Reihensechszylinder mit 10,7 l Hubraum im Heck. Der zweitgrößte Omnibusmotor des Hauses tritt ohne Turboloch recht kräftig an und setzt auch feinnervig um, was der Fahrer von ihm verlangt. Kein Wunder: Hier treffen 394 PS auf 15 t Gesamtgewicht, mehr werden es selten. Er beschleunigt zügig, aber nicht fulminant, die Techniker haben den Reihensechser mit einer langen Spritspar-Übersetzung an die kurze Leine gelegt. Der Erfolg gibt ihnen Recht, der 511er ist kein Spritverschwender. Bei konstant Tempo 100 und 1.190 Touren zieht der Diesel durchschnittlich 18,5 Ll aus dem Tank, hier machen sich die aerodynamischen Qualitäten bemerkbar. Wie alle aktuellen Setra-Modelle duckt sich auch der Midi ab 95 km/h per Niveauregulierung noch ein wenig näher an die Fahrbahn.
Eine absolute Empfehlung ist uns das automatisierte Powershift-Getriebe wert. Zwei Gänge mehr als das Handschaltgetriebe sind dann ein Segen, wenn es knüppelhart kommt – wie eben an unserem Testberg, den der 511er fast in Rekordzeit hinaufstürmt. Jede Schaltung sitzt, auch auf steilen Passstraßen. Man kann auch manuell eingreifen. Ein Fingertipp nur am Lenkstockhebel, man macht nur selten davon Gebrauch. Vor allem im städtischen Verkehr fährt es sich mit Automatik so viel einfacher – und kuppeln mit dem linken Fuß? Ein Relikt von gestern, wir denken nicht daran.
Komplette Sicherheitsausstattung
In der Stadt, auf kniffligem Geläuf, sammelt der kurze Setra zuhauf Sympathiepunkte. Wie liegt ihm die Autobahn, die Langdistanz? „Länge läuft“, sagen die Fahrzeugtechniker, und wir müssen ihnen mit Blick auf unseren Setra beipflichten. Nein, so stoisch wie ein langer Omnibus läuft er nicht geradeaus. Er reagiert auch feinfühliger auf Spurrillen und starken Seitenwind, dann fordert er ein wenig Aufmerksamkeit und ein paar Korrekturen. Mit der straffen und präzisen Lenkung hat man ihn sofort wieder im Griff. Geht es über ondulierte Landstraßen mit Senken und Kuppen, nickt der kurze Setra kräftiger als die langen Kollegen. Die kräftigen Stabilisatoren an beiden Achsen können es allein nicht richten – sonst würde der Federungskomfort des sportlich straffen Setra zu sehr darunter leiden. Vielleicht eine Frage des Fahrwerk-Setups – wie wär’s mit adaptiven Dämpfern?
Zur Ehrenrettung unseres 511ers muss hier stehen, dass wir uns in keiner Situation unwohl gefühlt haben. Und schon gar nicht, wenn es um das Thema Sicherheit ging. Der kurze CC 500 bietet alles auf, vom Abstandsregeltempomaten bis zum Notbremsassistenten, der einen Auffahrunfall verhindern kann. Auch die passive Sicherheit kommt nicht zu kurz, selbst im verkürzten Vorbau des Midi sitzt ein Front Collision Guard. Natürlich darf der viel gepriesene intelligente GPS-Tempomat nicht fehlen. Er heißt bei Daimler PPC oder Predictive Powertrain Control und soll für besonders niedrige Kraftstoffverbräuche sorgen. Unsere Versuche bei dichten Verkehr auf der Autobahn waren nur wenig erfolgreich, vorausschauend mit dem Pedal fahren brachte hier bessere Ergebnisse.
Auf dem Weg zurück, wo wir zum Fahrgasttester mutieren, fällt uns die Ablösung ungewohnt schwer. So viel Spaß am Omnibusfahren wie heute erleben wir nur selten. Dabei winkt jetzt das Wohlgefühl eines sehr leisen Innenraums, die perfekte Klimatisierung, ein wohlverdientes Kaltgetränk. Sich wohlig in den feinen Sitzen räkeln, wo nur zu kurze Rückenlehnen stören. Wenn der relativ steifbeinige Setra mal über Querfugen poltert, dann klappert nichts, nichts zirpt. Nur die City-Plus-Bereifung (Continental) singt ihren Blues, je länger, desto lauter – und nervt vor allem auf den hinteren Sitzreihen.
Unter dem Strich
So ein Setra-Midi ist ja kein billiges Vergnügen. Mit mindestens 280.000 Euro ist man dabei, da bekommt man bei anderen Anbietern schon ausgewachsene Reisebusformate. Gewiss gäbe es auch billigere Fahrzeuge, mit schmalspurigen Fahrwerken, mit schwächlichen oder lärmigen Motoren. Der Erfolg der kurzen Setras hat auch andere Hersteller nicht ruhen lassen. Bei van Hool, bei VDL oder beispielsweise Scania verfolgt man das gleiche Konzept: großzügiges Fahrwerk, stämmiger Motor und großer Komfort. Die Luft wird dünner, und doch bleibt der kurze Setra das Original. Sein Mehrpreis fließt durch die hohe Wertschätzung der Gebrauchtwagenkunden beim Verkauf wieder zurück. Zumindest teilweise, den Rest rechtfertigt das beinahe lückenlose Servicenetz des Herstellers.